Der folgende Zeitungsartikel, wurde von Karl Schworm geschrieben, und ist im Sprachgebrauch der damaligen Zeit verfasst. Der Artikel ist im Original wiedergegeben und ist die einzige Quelle über den Besuch von Yuma in Odernheim am Glan. Von einer Diskriminierung für Menschen mit einer anderen Hautfarbe distanzieren wir uns ausdrücklich. .
Safari am Glan mit Mistgabel und Holzbein
Eine tragikomische, aber wahre Silvestergeschichte
(14.April 1889 in Odernheim am Glan + 6. Mai 1956 in Locham bei München)
Odernheim. Im Schatten des Disibodenberges schlummert seit dem Jahr 1934 ein hochverdienter Mann, dem draußen in der weiten Welt, als Seefahrer auf den sieben Meeren des Erdballs und als Kolonialpionier im schwarzen Erdteil, die große Liebe zu dem Land zwischen Rhein und Hunenrücken zugewachsen ist, zu jenem schönen vielgestalteten Land, dem er entstammte und dem er dann in einem wahrhaft vorbildlichen Wirken mehr denn drei Jahrzehnte lang als Geologe, Heimatforscher und Volkskunde gedient hat. Wie meinen den weit über die Grenzen der Pfalz und des mittelrheinischen Landes hinaus bekannt gewordenen Heidelberger Professor und Paläontologen Dr. Daniel Häberle, der Ehrenbürger von Odernheim am Glan war und auf dem Friedhof des genannten Glanstädtchens seine letzte Ruhe gefunden hat.
Daniel Häberle hat schon in jungen Jahren enge Beziehungen zu Odernheim und der Landschaft am unteren Glan unterhalten. Hier hatte er, der Sohn des bei Kaiserslautern gelegenen Daubenbornerhofes, drei Schwestern wohnen, und hier hat er, der als Seemann und Kolonialbeamter des öfteren in Urlaub bei seinen Verwandten zu Füßen des Disibodenberges weilte, dann auch seine Lebensgefährtin gefunden.
Was hier erzählt werden soll, hat sich noch in der ledigen Zeit Daniel Häberles zugetragen. Er stand damals in Diensten des Gouvernements von Deutsch- Ostafrika zu Daressalam. Die Deutschen im tropischen Afrika pflegten seinerzeit aus Gründen der Erhaltung ihrer Gesundheit, d.h. zur Abwehr von Klimaschäden, in Abständen von etwa zwei Jahren für längere Zeit nach Europa zurückzukehren. Daniel Häberle verbrachte diese Zeit meist zu Odernheim in der Mühle, in der seine Schwester als umsichtige Hausfrau waltete. In seiner Begleitung befand sich wiederholt sein eingeborener Diener, ein Suaheli- Junge namens Yuma, ein richtiger ebenholzfarbener Afrikaner mit rotem Fes und blendend weißen Zähnen, der dann immer die Sensation von Odernheim, der Gegenstand staunender und furchtsamer Bewunderung der Jugend und des öfteren Urheber von mehr oder minder erregenden Vor- und Zwischenfällen war. Ein solches Begebnis soll hier berichtet werden.
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Daniel Häberle war mit Yuma wieder einmal in der Odernheimer Mühle eingekehrt. Da er wieder einen deutschen Winter erleben wollte, hatte er die Zeit seines Urlaubs entsprechend gewählt. Jener Winter ließ sich nun nicht allzu streng an. Das war ein Glück für den Negerboy, den aus äquatorialen Breiten zu uns gekommenen Sohn Afrikas, der zum ersten Male nahe Bekanntschaft mit Schnee und Eis machte und schon bei mäßiger Kälte jämmerlich fror. Er hielt sich daher mit Vorliebe in der warmen Küche auf, wo sich die gütige Schwester seines Herren seiner verständnisvoll annahm. Abends, wenn seine Dienste nicht mehr benötigt wurden, barg er sich beizeiten unter der mächtigen Decke seines Bettes.
So kam Silvester heran. "Bwana" Häberle verbrachte den Abend im Hause seiner zukünftigen Frau. Yuma verschwand bald nach dem Abendessen in seiner Kammer, in der er sich zähneklappernd dem kältebannenden Pfuhl hingab. Es währte lange, bis er mit Hilfe eines wärmespendenden Bettsteins in Schlaf fiel, der ihn mit grotesken Traumbildern geschreckt haben muß, denn man hörte ihn durch die Tür bisweilen tief stöhnen und abgerissene Suaheliworte ausstoßen.
Um Mitternacht, als die Glocken zum Anbruch des neuen Jahres zu läuten anfingen und in den Straßen von Odernheim das vierhundertstimmige Gedärm der Jugend sich zum wilden Geknatter des Neujahrsanschießens gesellte, schreckte Yuma jählings aus Schlaf und Traum. Er lauschte kurze Zeit sprachlos dem immer heftiger werdenden Schießen und fuhr dann mit rollenden Augen, in denen die Kampfeslust seiner kriegerischen Ahnen und Brüder zu glühen begann, in die Kleider. In seinem Wollschädel hatte das Schießen, das kein Ende nehmen wollte, eine Idee lebendig werden lassen, die der Mentalität des von Afrika her an Krieg und Kriegslärm Gewohnten nahelag. Für ihn stand fest: In Deutschland war plötzlich Krieg ausgebrochen, und was sich da draußen lärmend und knallen tat, war eine blutige Safari, die gewiß seinen Bwana und wohl auch das Haus der guten weißen Herrin, die Mühle am Glan, bedrohte.
Yuma wußte, was er zu tun hatte. Er stieß einen kehligen Schlachtruf aus und stürmte die Treppe hinab in den Hof des Mühlenanwesens, der menschenleer im Schein der erleuchteten Fenster vor ihm lag. Droben an der Glanbrücke war viel Leben und Bewegung. Eben krachte wieder dumpf wummernd ein Kanonenschlag. Die Feinde! Nun würden sie wohl kommen!
Der Schwarze zückte seinen arabischen Dolch, der jedoch seinem kritisch wägenden Blick nicht zu genüge schien. Er sah sich nach einer anderen Waffe um. Am liebsten hätte er sich mit einem langen Speer bewehrt; doch woher sollte er einen solchen nehmen? Da fiel sein Auge auf eine dreizinkige Mistgabel, die griffbereit in nahen Düngerhaufen stach. Yuma packte sie und sperrte mit ihr, sich zum Verteidiger der Mühle aufwerfend, den Eingang zum Hof, dem sich jetzt von der Mühlfahrt her eine Gruppe von angeregt plauderten, lustig aufgelegten Odernheimer nahte. Es waren Leute, die nach altüberliefertem Brauch kamen, in der Mühle das Neujahr anzuwünschen. Sie mußten zu ihrer nicht geringen Bestürzung schleunigst umkehren, denn Yuma von dem noch immer anhaltenden Schießen kämpferisch entflammt, trieb sie mit gezückter Mistgabel und gefletschten Zähnen unbarmherzig in die Flucht. So erging es noch vielen anderen. Die Herrin der Mühle wartete in jener Neujahrsnacht vor der großen, mit dampfendem Glühwein gefüllten Terrine umsonst auf die üblichen Neujahrsgratulanten. Yuma war unerbittlich; er ließ niemand in den Mühlenhof.
Als schließlich der "Sackschneider", ein lustiger, jederzeit zum Ulk aufgelegter Bursche, der beim Bahnbau ein Bein verloren hatte und seitdem sein Brot in der Mühle mit Sackflicken verdiente, die Mühlfahrt herabstampfte, kam es zu einem Intermezzo, das bei aller Komik eines dramatischen Anstrichs nicht entbehrte. Yuma kannte den "Sackschneider" gut von der Sackbude der Mühle her, aber er ließ ihn dennoch nicht passieren, sondern wies den Verblüfften zurück wie alle anderen. Das erbitterte den etwas angetrunkenen Invaliden nicht wenig. Er schrie den Neger an:"Bischt de iwwergeschnappt, schwarzer Neeves?! Mach Platz orrer....", stemmte sich gegen seinen Stock und trat dem unentwegten Hüter des Hofeingangs mit seiner Prothese gegen das Schienbein, das bei Negern besonders empfindlich ist. Die Wirkung blieb nicht aus. Der Suaheli sprang mit einem schrillen Krählaut in die Luft, schlenkerte das so schnöde behandelte Bein, fällte seine Gabel und stach zu, traf aber zum Glück das Holzbein des Sackschneiders.
Die Wucht des Stoßes hätte den lustigen, nun aber sehr ergrimmten Sackschneider fast zu Boden geworfen. Er fing sich jedoch noch, zog sich etwas zurück und gab aus halbwegs gesicherter Entfernung seiner Entrüstung weithin hörbar Ausdruck - kurzum, er schimpfte wie ein Rohrspatz. Der Erboste bedachte den Schwarzen mit Prädikaten, die gar nicht lieblich klangen und mit dem besten Willen nicht zu den Koseworten gerechnet werden konnten. Yuma verstand längst nicht alles, was der Sackschneider ihm an den Kopf warf; als er aber das von ihm sehr gehaßte Schimpfwort "Yuma, Schwein!" fiel, hatte es bei ihm dreizehn geschlagen. Er rollte die Augen, daß das Weiße darin gespenstisch durch das halbe Dunkel stach, fällte wieder seine dreigegabelte Waffe und ging abermals zum Angriff auf seinen Beleidigen über.
Wer weiß, was in jener Neujahrsnacht noch alles geschehen wäre, wenn in dieser bedenklich zugespitzten Situation "Bwana" Häberle nicht plötzlich auf der Bildfläche erscheinen wäre und Frieden gestiftet hätte. Der kampfeslustige Suaheli sah seinen Irrtum ein und gab den Weg zur Mühle frei. So ist der allzeit durstig gewesene Sackschneider damals doch noch zu einem tüchtigen Schluck Glühwein gekommen. Yuma aber kroch etwas beschämt wieder in sein Bett. Damit war die ihresgleichen suchende Safari am Glan beendet.
Quelle:
Bilder Yuma: Manfred Lorenz, Aus der Sammlung von Lotte Lellbach
Privatarchiv Hans Lahm: Safari am Glan mit Mistgabel und Holzbein, Silvester 1975, Allgemeine Zeitung 31.12.1975