Andreas Ott
Erlebnisse einer Pfälzer Pfarrfamilie zur Zeit der französischen Revolution
nach Heinrich Wilhelmi „Blätter der Erinnerungen an Karl Wilhelmi“ 1852
Heinrich Wilhelmi, 1758 in Odernheim geboren, war von 1789 – 1797 reformierter Pfarrer in Odernheim. Sein Vater Johann David war von 1757 – 1789 und sein Großvater noch früher ebenfalls reformierter Pfarrer.
Heinrich hat eine, seinem Bruder Karl gewidmete Schilderung hinterlassen. Er schreibt von einem schönen Pfarrhaus mit weitem Hofraum, dem Pflanzgarten mit Rebgeländern und grün überlaubten Gängen, dem Grasgarten mit Obstbäumen, wo er mit seinen Geschwistern klettern und tüchtig herumtollen konnte. Doch bald trat diese Idylle hinter den Ereignissen der französischen Revolution zurück. Besonders lebhaft war den Geschwistern die Erinnerung an die Aufrichtung des „Freiheitsbaumes“. Heinrich schreibt: Schon hatte die Revolution begonnen, hier und da sich auch bis an den Rhein auszubreiten. Der Taumel einer erst lockenden, viel versprechenden Freiheit hatte ein Teil der Bewohner ergriffen. Schon ragten an vielen Orten mit dem Symbol der roten Kappe die Bäume der Freiheit auf, die unter lautem Getümmel des großen Haufens und nicht ohne Vergeudung der Mittel der Dorfgemeinden aufgepflanzt zu werden pflegten. Das Städtchen Glan – Odernheim hatte lange damit gezögert und als man, nach der damaligen Redeweise, dieser Kundgebung patriotischer Gesinnung sich nicht länger erwehren konnte, so beschloss der verständigere und begütertere Teil der Bewohner, was sie nicht verhindern konnte, lieber selbst in Ordnung zu vollführen, d.h. den Freiheitsbaum aufzurichten; obgleich dieses auch hier nicht ohne öffentliche Gepränge, Festmahl, Musik und Tanz geschehen konnte.
Der Baum wurde im feierlichen Geleit der Bürger und aus der Nachbarschaft herbeigeströmter „Patrioten“ durch die nicht gar lange Hauptstraße und dann um die Mauern der Stadt herum und an der großen Linde bei der Glanbrücke vorüber zu dem unteren Tor wieder herein nach dem zu seiner Aufpflanzung bestimmten Platz gefahren; und dem so gleichen Söhnepaar (Zwillinge Karl und Heinrich des Pfarrers, die man nur durch verschiedene Armbinden unterscheiden konnte) war die Ehre zugewiesen worden, in dem Festzuge vor dem Baume her die beiden Fähnchen zu tragen, womit dieser nach seiner Aufrichtung prangen sollten.
Die Pfarrerskinder erführen schon früh das, was man in anderen deutschen Gebieten nur dem Namen nach als das Flüchten kannte. Verschiedene Male, wenn sich der Sturm sich von fernab erhob, brachte der Vater die Mutter mit den Kindern zu den Verwandten nach Heidelberg. Er selbst kehrte wieder zurück um das Pfarrhaus nicht unbeaufsichtigt zu lassen. So oft sie aber die Flucht ergriffen hatten, war die Gefahr wie Gewitter, die sich nicht entladen oder keinen großen Schaden anrichten, wieder vorübergegangen. Dieses Flüchten war aber wohl der Anlass , daß die 1791, 1792 und 1793 geborenen Kinder nicht lange am Leben blieben.
So beschloss die Pfarrersfamilie, allzu sicher geworden, 1797, wo eine Flucht am nötigsten gewesen wäre, dazubleiben und das Kommende gelassen abzuwarten. Jetzt aber sollten sie eine Plünderung mit all ihren Schrecken erleben. Ein österreichisches Freikorps war als Vorhut bis gegen den Glan hin vorgerückt (Glan- Odernheim lag an der von Lothringen nach Mainz führenden Heerstraße). Dabei befanden sich Serassaner, sog. Rotmäntel, die für die Kinder von besonderer Anziehungskraft waren, da sie gerne mit ihnen spielten und sich mit ihnen unterhielten. Sie kamen den Kindern vor wie „fantastische Gestalten aus einer Märchenwelt“, mit ihren gebräunten Gesichtern, ihren langen Flinten, dem breiten Messer und dem Pistolenpaar im blanken Gurt und dem weiten, grellroten Überwurf über den blauen Hosen.
Die österreichische Vorhut musste aber vor den herandringenden Franzosen weichen, doch bald wurden letztere zurückgedrängt. Ihre eilige Flucht wurde nur einige Stunden in Glan – Odernheim unterbrochen, da sie die Glanbrücke- beim Vorrücken hatten sie diese zerstört – wieder herstellen mussten, um sich zurückziehen zu können. Die Zeit aber nützten sie, um in dem Städtchen zu plündern. Die Pfarrerfrau versteckte sich mit ihrem Säugling (Wilhelmina- Elisabetha, am 4.3.1797 geboren, schon am 18.3.1797 gestorben) und den anderen 5 Kindern in dem mit seinem niederen Eingang hinter dem Kamin verborgenen Speicherkämmerchen eines entlegenen Bürgerhauses. Das schöne, am unteren Ausgang gelegene Pfarrhaus war doch zu gefährdet, lockte es doch besonders die auf Beute Ausgehenden an. Die geflüchtete Pfarrfamilie wurde zum Glück in ihrem Asyl nicht entdeckt. Doch das Geschrei und die Klagen Misshandelter drangen zu ihnen herauf. Auch der andere (lutherische) Geistliche des Ortes suchte bei ihnen Zuflucht, mit einer blutenden Wunde am Hals.
Pfarrer Wilhelmi aber behauptete sich mutvoll in dem mit Feinden überfüllten Pfarrhaus. Er suchte, solange es möglich war, einzelne wertvollere Dinge in Sicherheit zu bringen. Die Plünderer, die dem großen Weinvorrat im Keller mehr, als ihnen zuträglich war, zugesprochen hatten, wurden immer wilder und brachen Schränke und Behälter auf, um sich ihren Inhalt anzueignen. Pfarrer Wilhelmi versuchte vergebens, sie zu beschwichtigen, als sie ihn mit der blanken Waffe bedrohten. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich über seinen Zaun und den der Nachbargärten zu den Seinigen zu retten.
Heinrich schreibt dabei von einer besonderen Episode, die sich während der Plünderung ereignete: Dabei mag auch gern dessen gedacht werden, wie etliche Naturen überall, selbst unter dem Tumulte verwilderter Genossen, ihre Haltung zu behaupten wissen.
Da der Pfarrer, auch während seine Wohnung schon von Feinden erfüllt war, fortfuhr, einzelne wertvollere Gegenstände, um sie den habgierigen Blicken zu entziehen, an minder bemerklichen Orten zu bergen, so leistete ein junger Mann, einer von den Soldaten, ihm dabei die tätigste Hilfe. Erst nach vollendetem Geschäfte bat dieser, fast zaghaft, um die freiwillige Gabe eines Taschentuchs, da ihm das seinige verlorengegangen. Mit tiefer Bewegung erzählte dies später wiederholt der Vater den Kindern.
Doch bald mussten die Plünderer eilends flüchten. Die Männer mit den roten Mänteln erschienen zunächst wieder. Die Kanonen der Österreicher, deren Kugeln über den Talgrund und die Wohnungen hinüber ihren Flug nach einem auf der entgegengesetzten Höhe sich hinbewegenden Zug des Feindes genommen hatten, wurden nun außen bei der Stadtmauer aufgepflanzt. Die Kanonade begann von neuem; auch während der Plünderung hatte sie nicht nachgelassen. Durch eine Lücke zwischen den Ziegeln der Dachkammer, wo sie sich versteckt hatten, beobachteten die Pfarrerskinder mit kindischer Neugier die Flucht der Feinde, wie diese von der benachbarten Höhe, Reiterei und Fußvolk in chaotischem Gemenge, gleich einem seine Dämme durchbrechenden Strom, in den Talgrund sich herabgossen. Die Szene der Plünderung und die Flucht der Feinde prägte sich ihnen unvergesslich ein.
Als das linke Rheinufer 1797 völlig an Frankreich fiel, und 17 Jahre lang unter französischer Herrschaft blieb, tauschte Pfarrer Wilhelmi 1798 seine Pfarrstelle mit der des damaligen kurpfälzischen Pfarrers in Hilsbach bei Sinsheim ein. Bei der großen Strenge der französischen Militäraushebung hatte er Sorge, vielleicht allzubald das Leben seiner Söhne auf fernen Schlachtfeldern zu verlieren. In Hilsbach starb er 1831 im Alter von 73 Jahren.
Heinrich schildert die Eltern so:
Der Vater war äußerlich von ansprechender Bildung und hoher Statur, bot das Bild eines wahrhaft humanen, einsichtsvollen, in seinen Grundsätzen festen Mannes. Die kleine zarte Mutter bot das Bild überwallender weiblicher Liebe und Innigkeit. Katharina von Ottweiler, die sich 1810 mit Heinrich verheiratete, schrieb über ihren Schwiegervater:
Er sieht ganz stattlich aus und trägt sich gut. Ich bin froh, daß gerade dieser Mann meines Heinrich`s Vater ist. (Der „Beschriebene“ war damals 53 Jahre alt).